In seinem Buch „How innovation works“ untersucht der Autor Matt Ridley anhand zahlreicher Beispiele historisch, wie sich in verschiedenen Branchen Innovationen durchgesetzt haben. Daraus leitet er Gesetzmäßigkeiten ab. In diesem Artikel fasse ich meine Learnings aus dem Buch zusammen und frage mich, wie sie sich übertragen lassen, um die aktuelle Debatte besser zu verstehen, wie künstliche Intelligenz unsere Gesellschaft verändern wird.

Invention als Basis für Innovation

Vor der Innovation erfolgt die Invention: Erfinder entwickeln das eigentliche Prinzip, beispielsweise das Automobil, die Glühbirne oder den Computer. In der Regel scheint es so zu sein, dass die Zeit reif ist für eine bestimmte Invention, und mehrere Erfinder an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit ähnliche Lösungen entwickeln. Dabei gleicht dieser Prozess oft eher einem Wettrennen der Erfinder darum, als erster den Durchbruch zu schaffen.

Oft entsteht dieser nach Ridley aber auch aus einer zufälligen Entdeckung: Zum Beispiel wird für einen Werkstoff eine ganz andere Verwendung gefunden, als ursprünglich geplant. Oder ein Unternehmen beginnt mit einem bestimmten Zweck, und ändert dann noch mehrfach seine Richtung, bis es seine eigenliche Kernkompetenz entwickelt. So startete die Microblogging-Plattform Twitter eigentlich als interne Entwicklung des Podcasting-Startups Odeon, und sollte lediglich dazu dienen, dass Mitarbeiter miteinander kommunizieren können. Stattdessen änderte das Unternehmen schließlich seine Richtung, und die Messaging-Applikation wurde das erfolgreiche Produkt der Firma.

Fasziniert hat mich die Geschichte, dass Thomas Edison bereits im 19. Jahrhundert eine Firma aufgebaut hat, die systematisch nach dem Prinzip „trial and error“ tausende Möglichkeiten durchtestete, um etwas Neues zu erfinden, woraus auch seine berühmten Zitate entstanden: „Genius is one per cent inspiration, ninety-nine per cent perspiration“ und „I have not failed. I’ve just found 10,000 ways that won’t work.“

Die Invention ist also in der Regel ein Produkt ihrer Zeit. Sie scheint dabei evolutionär stattzufinden, als mehr oder weniger zufällige Mutation in einem bestehenden Entwicklungsstrang, in dem nützliche Entdeckungen von anderen Akteuren weiterverwendet und verbessert werden. Das Neue basiert hier im Hauptsatz auf der neuen Kombination bestehender Ideen, und einem im Prinzip interdisziplinären und internationalen Austausch von Wissen.

Die Gleichzeitigkeit der Lösungsfindung macht es schwer, Urheber zu benennen. Sowohl Wissenschaftler in privaten oder öffentlichen Institutionen, als auch Unternehmer oder hobbymässige Tüftler überlegen gleichzeitig an Lösungen. Da meist mehrere Akteure in der gleichen Zeit auf Lösungsideen kommen, ist es oft unklar, auszumachen, wem nun die eigentliche Ehre der Erfindung gebührt. Auch ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaß die Lösungsideen voneinander beeinflusst wurden.

Innovation als harte Arbeit

Der Prozess der Innovation etabliert den Markt für die Invention. Er umfasst oft jahrzehntelange, harte Arbeit, die der Invention ihre gesellschaftliche Relevanz verleiht: Aus der Entdeckung, z. B. dem Speichern von elektrischer Ladung in einer Batterie, muss ein funktionierendes Produkt gemacht werden, also in unserem Beispiel günstige, massengefertigte Batterien, die in jedem Supermarkt erhältlich sind. Es muss auch ein Ökosystem um das Produkt herum entstehen, z. B. elektrische Geräte, die die Batterien nutzen, ein Entsorgungs- oder Recyclingsystem für leere Batterien, oder Technologie für die Wiederaufladung von Batterien etc.

Vom Prototyp zum verfügbaren Massenprodukt. Am Anfang steht jedoch der funktionsfähige Prototyp für ein Produkt. Anschliessend muss ein System aufgebaut werden, um das Produkt in Serie zu produzieren, beispielsweise Maschinen entlang einer Fertigungsstraße. Rechtliche Regularien müssen ermittelt und erfüllt werden. Anschliessend muss das Produkt die Marktnachfrage nach der Lösung kanalysieren, um den Absatz zu erreichen, der die nötigen Investitionen finanziert – hierfür müssen entsprechende Systeme für Marketing, Verkauf und Logistik etabliert werden. In einem leanen vorgehen sollte es idealerweise natürlich andersherum laufen, und die Entwicklung des Produktes sollte mit ständigen Rückkopplungsprozessen zur Marktnachfrage schrittweise agil entwickelt werden.

Optimierungen und Konkurrenz. Das Produkt wird dann immer billiger hergestellt dank Optimierungen im Fertigungsprozess. Spätestens wenn das Produkt auf dem Markt gut etabliert ist, treten Konkurrenten auf den Plan, erstellen das Produkt entweder billiger oder in anderen Variationen. Der Markt reift und strebt einer Sättigung entgegen. Das eigene Produkt muss als Reaktion darauf meist fortlaufend weiterentwickelt werden, um sich am Markt zu behaupten.

Innovation braucht ganz andere Fähigkeiten als Invention. Der ganze Prozess braucht in der Regel viel Kapital, die Bereitschaft, Risiken einzugehen sowie enorme Resilienz und Durchhaltevermögen. Ridley sieht in der Innovation die noch größere Herausforderung als in der Invention. Auch ist dies der Grund, warum der eigentliche Inventor oft wenig materiellen Nutzen von seiner genialen Schöpfung hat, man denke nur an die tragischen Biografien von Nikola Tesla oder Rudolf Diesel.

Hype Cycles – Erwartungen und Realität

Welche Technologie setzt sich gesellschaftlich wie durch? Gerade in der heutigen Zeit sind die Innovationen, die auf lange sicht die Gesellschaft „revolutionieren“, meistens technologisch keine Überraschungen – Deep Learning, Blockchain, Augmented und Virtual Reality, autonomes Fahren etc. sind als technologische Erfindungen seit langem bekannt und öffentlich diskutiert. Interessant ist, wann welche Technologie welchen Durchbruch schafft. Wenn man hinterher in die Vergangenheit zurückschaut, erscheint es uns meist schlüssig und teilweise wie selbstverständlich, wie sich eine Technologie durchgesetzt hat – wenn man aber Zukunftsprognosen von Experten aus vergangenen Zeiten ansieht, bilden sie oft absurde Fehleinschätzungen ab, und lassen auch Zweifel daran aufkommen, wie gut Fachexperten überhaupt ihr Wissen dafür nutzen können, zukünftige Entwicklungen zu prognostizieren.

Die öffentliche Wahrnehmung der Technologien unterliegt zudem sogenannten Hype Cycles:

  • In der Hype-Phase hält man eine Technologie für DIE universale Lösung, die bald alles radikal auf den Kopf stellen wird. Viele Startups entstehen zu dem Thema, neue „Stars“ der Branche treten ins Rampenlicht, die Presse ist voller Berichte, die das Thema noch mehr aufbauschen um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Durch den Hype strömt viel Kapital und somit die Arbeitskraft von talentierten Fachpersonen in die Entwicklung der Lösungen, die somit noch verstärkt vorangetrieben wird. Nach einer gewissen Zeit beginnt die Stimmung jedoch umzuschwenken und geht graduell über in…
  • …das Tal der Tränen, in dem die Öffentlichkeit zutiefst enttäuscht, ja oft gar verbittert ist, dass die Technologie die Erwartungen bei weitem nicht einhält, die man sich im Rausch des Hypes von ihr versprochen hat. Viele der Startups aus der Zeit des Hypes erweisen sich nicht als tragfähig und gehen wieder ein, der Markt bereinigt sich. Aber auch diese Enttäuschung erweist sich als überzogen, da an der ursprünglichen Technologie wahre Vorzüge dran waren. Wenn sie abebbt, entzerrt sich somit auch die öffentliche Wahrnehmung von dem, was die Technologie kann, und führt ihre Entwicklung geradewegs weiter auf…
  • …den Pfad der Erleuchtung. Denn nachhaltig tragbare Geschäftsmodelle setzen sich trotzdem am Markt durch, finden ihre zufriedene Kundschaft und werden damit durch Konsumenten in ihrem Alltag konkret erfahrbar. Aus early adoptern entsteht die frühe Mehrheit, gefolgt von einer Entdeckung der breiten Masse der relevanten Zielgruppen, bis schliesslich auch die ursprünglichen Widersacher der Technologie einlenken müssen und mitmachen – gegeben, dass entsprechende Netzwerkeffekte eintreten. Nicht zuletzt haben auch die zusätzlichen Ressourcen, die die Hype-Phase für die Technologie mobilisiert haben, die Entwicklung spürbar vorangetrieben. So entwickelt sich also gesellschaftlich schrittweise eine „neue Normalität“ mit der Technologie und führt sie auf…
  • …das Plateu der Produktivität. Der Einfluss der Technologie liegt aber in der Regel trotzdem deutlich unter dem, der in den Zeiten des Hypes erhofft wurde. Oft sind die Anwendungsfälle schliesslich auch andere, als man ursprünglich für die Technologie gedacht hat. Dabei überschätzt laut Ridley die Gesellschaft in der Regel, was die neue Technologie in den ersten 10 Jahren nach dem Hype verändern wird, und unterschätzt, wie sie bis in 20 Jahren unser Leben verändert.

Ausblick: Spannende Zukunft

Vor diesem Hintergrund bin ich besonders gespannt, wie sich das Thema der künstlichen Intelligenz in Zukunft entwickeln wird. In der öffentlichen Diskussion habe ich schon viele überzeugende Beiträge gehört, die deren gesellschaftlichen Einfluss langfristig mit der Erfindung der Elektrizität gleichsetzen, aber auch viele überzeugende Kritiken gehört, die den Mythos um die Entwicklung dieser Technologie dekonstruieren und als leeres Versprechen abkanzeln, das lediglich kurz- und mittelfristig den shareholder value der Tech-Giganten im Silicon Valley pushen soll. Schauen wir also, was die Zukunft bringt!